Im schwarzen Hunger-Loch

Dr. Matthias Marquardt - Blog - Fettstoffwechsel

FETTSTOFFWECHSEL

Im schwarzen Hunger-Loch

Erste Saisonhälfte. Manchmal ist es noch kühl, und die Beine haben die Farbe von Mehlwürmern. Man denkt an nichts Böses, blinzelt der Sonne entgegen, vertraut auf seinen Tour-de-France-verdächtigen Fettstoffwechsel, radelt eigentlich noch nicht wirklich lange, und plötzlich macht es Zack. 



Die Kraft wird wie von einem schwarzen Loch aus deinen Beinen gesogen, ein flaues Gefühl macht sich breit, kalter Schweiß tritt auf die Stirn. Der Tacho zeigt Schritttempo. Man denkt, es geht bergauf, vergewissert sich und stellt dann dummerweise fest, dass es ganz offenbar doch bergab geht. Rien ne va plus. Nichts geht mehr. Ein Wort wie Donnerhall: Hungerast. Man sollte damit auch nicht spaßen. Anfänger, die mal müde Beine hatten und denen es nach etwas Schokolade wieder besser ging, meinen nicht das gleiche. Es geht nicht um „etwas Hunger“ und „müde Beine“. Es geht um Hungerast! Diese Momente, die du dein Leben nicht vergisst, weil du vor Hunger und Kraftlosigkeit die Kurbel nicht mehr bewegen kannst. Ein Trainingspartner erklärte mir mal, dass er in einem solchen Moment ernsthaft überlegte, Gras und Blätter zu essen – so groß war der Hungerast.

 

UNTERZUCKERT WIE EIN JUNKIE

Das Verrückte: Wenn die Rettung irgendwann doch kommt, dann ist mit einer Cola oder ähnlich Zuckerhaltigem alles wieder okay. Eine erstaunliche Leistung der Biochemie unseres Körpers, wie ich immer wieder finde. Ich kroch einst mit Schleier vor den Augen im absoluten Unterzucker und am Ende meiner Kräfte in eine Eisdiele in Gießen. Es war ein Drama: Mit tiefliegenden Augen und Entzugserscheinungen wie ein Junkie bestellte ich zwei kleine Cola. Hätte ich mehr Geld gehabt, hätte ich zehn Spaghetti-Eis bestellt. Aber auch zwei  Gläser Cola reichten für die Blitzheilung.

NUR FÜR RADSPORTLER

Und das ist – streng wissenschaftlich betrachtet – auch der wesentliche Unterschied zum Kilometer-35-Drama des Marathonläufers: Der ist auch tot, hungrig und völlig im Eimer. Aber nach einer Cola geht’s dem nicht besser. Es ist und bleibt ein ungelöstes Rätsel der sportmedizinischen Forschung, warum der richtige Hungerast ein Radsportproblem ist. Fakt ist: Ich habe noch nie einen Läufer drei Cola und zwei Tafeln Schokolade an einer Tankstelle inhalieren sehen. Gäbe es Hungerast bei Läufern, würde man dieses Naturschauspiel bestimmt mal beobachten können. Ob der Hungerast nun ein radsportspezifisches Problem ist oder nicht, Vorbeugen wäre doch so einfach: Einen Not-Energieriegel einzustecken wäre nicht schwer. Oder mehr Geld, um an der Tankstelle eine Tafel Ritter-Sport-Marzipan zwischen zwei Brötchenhälften nachlegen zu können. Dann muss man auch nicht, wie einst beinahe in Hamburg geschehen, seinen Ehering am örtlichen Kiosk für ein Stück Kuchen verpfänden. Aber das wäre auch ein bisschen schade. Denn wo kämen dann die Heldengeschichten her?

 

Ihr Dr. Matthias Marquardt

 

MEIN TIPP:

Sie wollen effektiv trainieren und ihren Fettstoffwechsel schulen? Dann fahren Sie nüchtern. Nehmen Sie aber für den Notfall einen Energieriegel mit.


Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.

 

 www.tri-mag.de



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