Psychosomatisch? Ich bin doch Sportler!

Dr. Matthias Marquardt - Blog - Psychologie

PSYCHOLOGIE

Psychosomatisch? Ich bin doch Sportler!

Natürlich ist das Leben eines Triathleten in allererster Linie einmal reich an Glamour (Reisen wie ein Tennisprofi, gebräunt wie Dieter Bohlen und – wenigstens von den eigenen Kindern – gefeiert wie Brad Pitt). Das ist die eine Seite.



Andererseits treffen Sie diese bis in jede Faser gestählten Kämpfer kurz vor dem Showdown auf der Rennstrecke in Wanne-Eickel nervös wie ein Pennäler mit verschränkten Beinen vor dem Dixi-Klo wieder.

 

Macht nix. Wir kennen das. Es ist nur eine Reaktion des Körpers auf psychischen Stress. Man könnte auch sagen, es ist, Vorsicht „Psy-Wort“, Psychosomatik. Der Elite des Ausdauersports schlägt der Stress auf den Magen. Flotter Otto, die Hosen voll. Eigentlich kein Problem.

 

Eigentlich. Es gibt Momente im Leben eines Sportarztes, wo das Psy-Wort plötzlich heftige Abwehr hervorruft. Da stellt sich ein Dreikämpfer mit wiederkehrenden, heftigen Wadenschmerzen vor. Untersuchung, Labor, Bewegungsanalyse – sie finden nichts (außer viel Muskeln und wenig Fett). Sie wundern sich über die riesige Diskrepanz aus größten Beschwerden („Doc, ich kann nicht mal
 laufen!“) und völlig unauffälligem Untersuchungsbefund. Sie fragen vorsichtig (ohne das Psy-Wort zu benutzen!) nach anderen Belastungen und stoßen auf solche, die tonnenschwer wiegen müssen: die Scheidung, der Rosenkrieg, der wenige Schlaf, der Ärger im Büro. Sie geben die Hausaufgabe auf, zu überlegen, ob es da (eventuell und ganz vielleicht) einen Zusammenhang mit den Schmerzen geben könnte.

 

Die Antwort zwei Wochen später verblüfft: „Doc, das stimmt schon, mit dem Stress, aber der Schmerz muss woanders herkommen. Das fühlt sich nicht psychosomatisch an.“ „Und wie fühlt sich psychosomatisch an?“ „Keine Ahnung, aber nicht so!“ Und dann triumphierend: „Außerdem laufe ich ja, um den Stress abzubauen. Deshalb kann es nicht vom Stress kommen.“

 

Aber genau da ist der Haken: Ein bisschen Stress kann man durch Sport kompensieren. Aber Weglaufen lässt der Körper auf Dauer nicht zu. Bleischweres Zitat dazu gefällig? „Manchmal wird äußere Bewegung gestoppt, damit innere Bewegung ermöglicht wird“. Die Wade des Triathleten ist wie das Magengeschwür des Managers. Ihr Körper trifft Sie da, wo Sie verwundbar sind.

 

Gott sei Dank bin ich selbst Sportarzt und über solche psychosomatischen Lappalien erhaben. Kraft meiner Ausbildung weiß ich, dass es sich bei meinen eigenen Wadenverhärtungen um ein streng biochemisch zu erklärendes Phänomen handelt. Magnesium wird’s schon richten. Und wenn die Klinikpackung das Problem nicht gelöst hat, dann brauche ich halt eine Infusion. Psy-Wort? Das mag bei schwachen Gemütern vorkommen, aber – Gott sei Dank – nicht bei mir.

 

Ich gehe dann demnächst mal wieder laufen. Ich probiere es mal ganz locker. So richtig locker. Nur drei Kilometer oder so. Vielleicht besser abends im Dunkeln. Muss ja nicht jeder sehen. Kommt jemand mit?  

 

Ihr Dr. Matthias Marquardt


Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.

 

 www.tri-mag.de


Download
Marquardts Meinung -- Kopfsache
t149_marquardtsMeinung_kopfsache.pdf
Adobe Acrobat Dokument 55.4 KB